Heiteres Raumwunder

Helga Flotzinger: Ordination Kubanda in Innsbruck

Wie bringt man eine Arztpraxis mit Rezeption, Wartezimmer, Behandlungsräumen, Büro und Personalküche in einem 85 Quadratmeter kleinen Raum unter? Während Kollegen den Kopf schüttelten und dankend ablehnten, nahm sich Helga Flotzinger der Herausforderung an: Für die Ärztin Dr. Alice Kubanda-Pischinger verwandelte sie ein Geschäftslokal in Innsbruck in eine Ordination.
Mit Begeisterung fügte sie dabei Referenzen aus der Baugeschichte zu einer fröhlichen Collage zusammen. So überzeugt die Praxis nicht nur als Raumwunder, sondern erhält einen heiteren Charakter.

Autor: Elias Baumgarten

Ende der 1930er- und Anfang der 1940er-Jahre herrschte in Innsbruck rege Bautätigkeit: Die Nationalsozialisten stampften repräsentative Verwaltungsbauten wie das Neue Landhaus (1939) von Walter und Ewald Guth und etliche Wohnanlagen aus dem Boden. So baute die Gemeinnützige Beamtenwohnungsbau-Gesellschaft 1941 am Ufer der Sill im Bezirk Pradl 27 Häuser mit 140 Wohnungen für Beamte des Regimes. Zwischen den langgestreckten Baukörpern fließen üppige Grünanlagen. Entlang der Prinz-Eugen-Straße bilden zwei Häuser repräsentative Front zur gegenüberliegenden Südtiroler Siedlung (1942). In den Sockelzonen dieser beiden Gebäude befinden sich vier Geschäftslokale und eine Poststelle. Erstere weisen eine Raumhöhe von 3,4 Metern und eine Grundfläche von 85 Quadratmetern auf.
Bald nach dem Krieg ging die Anlage in den Besitz der Wohnungsbaugesellschaft BUWOG über. Diese begann in den 2010er-Jahren die Wohnungen und Geschäfte nach und nach an Privatleute zu verkaufen.

Kleiner Raum, große Wirkung
Dr. Alice Kubanda-Pischinger erwarb 2016 eines der vier Geschäftslokale an der Prinz-Eugen-Straße, um darin ihre Praxis einzurichten. Doch wie sollten Rezeption, Wartezimmer, Behandlungsräume, Büro und Küche auf nur 85 Quadratmetern Platz finden? Und wohin mit all dem medizinischen Equipment, den Medikamenten, Akten und Rezeptformularen? Helga Flotzinger entfernte zunächst alle Einbauten und trug die poppige Tapete aus den 1970er-Jahren ab. Dann gestaltete sie Möbel aus gestapelten Sperrholzkisten unterschiedlicher Größe, die von einem Vorarlberger Tischler in Handarbeiten gebaut wurden. Diese zonieren das ehemalige Geschäftslokal und bieten zugleich jede Menge Stauraum: Nachdem die Patienten die Praxis durch ein Portal in der Mitte der Straßenfassade betreten haben, werden sie an einem «Anmeldemöbel» empfangen. Dieses bildet einen Raum im Raum und fungiert als Rezeption, Abstellraum und Garderobe in einem. Rechts davon befindet sich der Wartebereich mit Kinderspielecke. Vorbei an der Toilette gelangt man von dort in ein Behandlungszimmer. Links von der Rezeption führt indes ein schmaler Gang an den Behandlungsräumen vorbei zur nur 4 Quadratmeter kleinen Küche. Den Arbeitsabläufen der Ordination sind die Möbel indes sorgfältig angepasst. So wurden die Kisten auf die Dimensionen der medizinischen Gerätschaften abgestimmt. Auch finden sich eigens entwickelte Spritzenabwürfe sowie Spender für Latexhandschuhe und Papierhandtücher. Die stark gemaserten Oberflächen der günstigen Sperrholzplatten, aus denen die Möbel gebaut sind, wirken dabei sehr hochwertig. Dies erinnert an die Gestaltungen des Schweizer Architektenduos Fuhrimann Hächler, das erschwinglichen Baustoffen im Sinne einer Alchemie eine edle Anmutung entlockt (siehe dazu: Julia Hemmerling, «Bauen auf dem Land», in: archithese 2.2016, Swiss Performance 2016, S. 54–61).
Nur die Behandlungsräume und die Personalküche wurden mit neu eingezogenen Wänden vom Raumkontinuum abgetrennt. Diese enden auf einer Höhe von 2,2 Metern. Oberhalb befinden sich Glasoberlichten. Ihr Schallschutzglas stellt die nötige Intimität sicher und verhindert, dass Gespräche aus dem Nachbarraum mitzuhören sind. Durch diesen gestalterischen Kniff bleibt der Raum stets als Ganzes erlebbar und trotz seiner Kleinteiligkeit unerwartet großzügig. Die ursprüngliche Decke mit Flaschenhohlkehlen an den Putzübergängen zu den Aussenwänden wurde freigelegt. Um künftig auf abgehängte Decken verzichten zu können, mussten sämtliche Elektroinstallationen in die alte Ziegeldecke eingestemmt werden.

Heitere Formen
Doch die Ordination überzeugt nicht nur mit der eleganten Lösung zur Ausnutzung des kleinen Raumes. Lustvoll collagierte Flotzinger außerdem Referenzen aus der Architekturgeschichte und verleiht der Gestaltung damit einen starken Charakter. So strahlen in der Praxis 38 Rundleuchten, die an der Decke aufgehängt sind, und spiegeln sich in den Glasoberlichten. Dies befördert nicht nur die Illusion eines deutlich größeren Raumes, sondern erinnert auch an Gestaltungen von Hermann Czech, etwa das Künstlerrestaurant Salzamt (1981) in Wien. Wie bei Czech folgt die Anordnung der Leuchten strikt einem geometrischen Raster. Bei Dunkelheit sind sie von der Straße gut zu sehen und wirken wie ein Signet. Zahlreiche runde Öffnungen in den Fronten der Möbel – beispielsweise zur Belüftung eingebauter Geräte – spielen die heitere Formensprache der Leuchten weiter.
Draußen weckt das Eingangsportal mit zwei großen Bullaugen in der Tür und dem filigranen weißen Geländer an der vorgelagerten Rollstuhlrampe Erinnerungen an Hans Scharouns Schiffsarchitekturen der 1930er-Jahren – wie etwa das Haus Schminke (1933) in Löbau oder die von ihm mitgestaltete Großsiedlung Siemensstadt (1931) in Berlin-Charlottenburg. Zudem lässt die symmetrische Straßenfassade mit einem geknickten Vordach und zwei großen Rundbogenfenstern mit Messingrahmen, die links und rechts des Eingangs sitzen, an Hans Holleins Geschäftsportale denken, zum Beispiel jenes des Kerzengeschäfts Retti (1965) oder des Juweliergeschäfts Schullin (1981) in Wien. So wird die abweisende Fassade des Bestandes aus Zeit des Nationalsozialismus, der wie ein Kasernenbau anmutet, aufgebrochen. Ihrer Strenge wird Heiterkeit entgegengesetzt.
Eigentlich ist eine Arztpraxis kein Ort, an dem man sich allzu gerne aufhält. Doch die Ordination Kubanda versprüht einen fröhlich-poppigen Groove. Es ist gelungen, einen Ort mit starker Identität und hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen.



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